Ecological Correctness: Gutes Gewissen – Simply delivered.

cc by jasmin

Nachhaltiges Handeln ist eine Lebenseinstellung. Aus Überzeugung kauft man z.B. Produkte aus der Region, im Winter heißt das Wirsing und Kohlrabi statt Zucchini oder Aubergine. Statt zum Auto greift man zum Fahrrad oder Nahverkehr. Ist günstiger und besser für die Umwelt. Für eine nachhaltige Lebenseinstellung gibt es oftmals viele gute Gründe.

Wenn eine Lebenseinstellung zum Verkaufsschlager wird:

Das Phänomen Öko-Wirtschaft ist nicht neu. Gänzlich beschweren sollte man sich darüber nicht. Doch hinterfragen soll erlaubt sein. Adidas hat 2008 die „Grün Kollektion“ herausgebracht – Mode aus biologischen Materialien, die noch dazu gut aussieht. Auch andere Hersteller setzen auf Bio-Baumwolle und recycelte Materialien, wie Bleistifte aus Zeitungspapier – kein Baum muss extra für die Schreiberlinge sterben. Aber auch Abseits der Warengütern zeigt man sich umweltbewusst: Ökostrom-Angebote der Energiekonzerne bieten gegen Aufpreis erneuerbare Energien. Und bei DHL hat man die Möglichkeit im Rahmen des GoGreen Klimaschutzprojekt Päckchen klimafreundlich zu verschicken. Und es dürfte nicht lange dauern, bis auch andere Branchen sich dem Geschäft mit dem guten Gewissen widmen werden.

Öko-Hype macht Kunden froh und die Wirtschaft ebenso?

Das Schöne an nachhaltigen Produkten und Diensten ist: sie hören auf, die Umwelt zu ignorieren. Sie sind eine Antwort auf den Wunsch jener, die Nachhaltigkeit als eine Notwendigkeit sehen. Hier ziehen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft scheinbar an einem Strang. Die Unternehmen achten nun auf Aspekte, die uns wichtig sind. Können wir also entspannt auf die Tonnenlader mit ihren Abgasen auf der Autobahn reagieren? Unsere Emissionen werden dank DHL gogreen schließlich durch ein Wasserkraftwerk in Brasilien kompensiert!

Ausruhen statt kritisch zu hinterfragen, entspannter könnte die Beziehung zwischen Wirtschaft und Konsumenten nicht aussehen. Doch entspricht diese gekaufte „Ecological Correctness“ dem eigentlichen Ziel? Arbeitet sie in die richtige Richtung? Hört Nachhaltigkeit beim guten Gewissen auf? Was ist noch Teil einer Lebenseinstellung und was davon ist nur ein Ausruhen auf einem guten Gewissen?

Wenn Unternehmen glauben, dass ihre Kunden auf das Green Washing hineinfallen, täuschen sie sich – hoffentlich. Denn man sollte nicht aufhören den Wandel und Nachhaltigkeit im Kontext zu betrachten. Ein DHL Päckchen verursacht trotzdem noch Emissionen, die mit aktuellen Fortbewegungs-Technologien gar nicht erst entstehen müssten. Und die Klimaschutzprojekte in der ganzen Welt sind zwar ein guter Anfang, aber fallen momentan wohl eher noch unter die Kategorie „Gutes Gewissen, Simply delivered“. Unternehmen sollten vorsichtig damit sein, Nachhaltigkeit zu kurz fassen. Die meisten Versuche „Grün“ zu wirken, scheinen bislang eher ein vielversprechendes Corporate-Social-Responsebility-Tool, als eine wahre ökologische Überzeugung zu sein. Deshalb sollten auch Konsumenten künftig nicht aufhören zu hinterfragen – gerade dort nicht, wo es so bequem wirkt. Denn wenn Verbesserung der umweltpolitischen Situation eine Lebenseinstellung ist, dann hört sie auch zukünftig nicht bei einem gekauften Ökoprodukt auf.

Zeig mir Dein Geweih

Das Geweih dient der innerartlichen Auseinandersetzung während der Brunft als Teil des Imponierverhaltens sowie im Kampf rivalisierender Hirsche um das Paarungsvorrecht. Außerdem kann es zur wirkungsvollen Verteidigung eingesetzt werden.


(Bildquelle: Green Igelz)

Das Bild entstammt einer Kampagne ‚Freies Ufer Griebnitzsee‘. Es geht um freien Uferzugang für die Bevölkerung. Die Hauseigentümer, die direkt am Griebnitzsee wohnen, möchten aber lieber unter sich bleiben (und die Grundstückspreise etwas in die Höhe treiben). Was da genau vorgeht und wie der aktuelle Stand ist, gibt die Website http://www.griebnitzseeufer.de/ ganz gut wieder.

Ein schönes für Beispiel Revierkämpfe und  ‚Geweih zeigen‘  einer Bürgerinitiative. Mal gespannt, wie es weiter geht…

Theorie 3: Spielerisch das Spektakel auflösen

Bilder sind sehr, sehr verführerisch - (c) by benoit ATL | tolle popart

In der letzten Theorie-Folge über die Situationistische Internationale (SI) habe ich ja u.a. über den Bilder-Fetischismus in unserer Gesellschaft geschrieben. Bilder sind wie Drogen oder Sex … sie verführen uns und lassen Gefühle auf heißter Flamme brutzeln, aber sie führen uns gleichzeitig an der Nase rum, lenken uns ab und hüllen manche üble Sachen in einem faszinierenden Schein – sprich das entfremdete Ich wird durch (Bilder-)Konsum zum Schein befriedigt. Diesen Mechanimus finden wir auch in der (Nachhaltigkeits-)Werbung wieder – was stellst du dir denn unter Landliebe vor? Ein schönes Bild? Alles  Spektakel! Die SI wollten dem Spektakel im Alltag entgegenwirken, indem sie eigene Situationen schafft.

Was ist eine Situation?

Inspiriert von Henri Lefebvres Theorie der Momente schuf die SI einen Situationsbegriff, der von einer natürlichen Abfolge von Situationen im menschlichen Leben ausgeht. Es gibt Momente der Liebe, der Freude, der Enttäuschung, des Hasses usw. Der Mensch setzt sich mit den Momenten auseinander und wird durch sie entscheidend geprägt. Wenn man an dieser Stelle eigene Situationen schafft, kann man diesen Zyklus durchbrechen. Durch konstruierte Situationen wollten die Künstler der SI also kleine Revolutionen im individuellen Alltag vollziehen. Dadurch sollte das Spektakel der Warenwelt bloß gestellt werden. In dem Rausch der Situation entlarven sie die Entfremdung, lösen sie auf und schaffen somit die Grundlage für Veränderung.

Eine konstruierte Situation definierte die SI als ein geplantes, kollektives und einmaliges Ereignis in einer abgegrenzten Umgebung in Form eines leidenschaftlichen Spiels (vgl. SI-REVUE 2008a). Diese Momente beschreibt Debord als „geordnete Intervention in […] die materielle Ausstattung des Lebens und Verhaltensweisen, die diese Ausstattung hervorbringt“ (DEBORD 1995, S.39). Situationen wurden meist von einem ‚Regisseur’ geleitet, hatten mehrere Mitwirkende und schlossen auch fremde Beobachter mit ein, die man „zur Handlung nötigen sollte“ (SI-REVUE 2008b). Es handelt sich also um konkrete Aktionen, die passive Konsumenten aus dem Alltag reißen und sie im situationistischen Sinne aktivieren.

Situationen der Nachhaltigkeits-Guerilla

Eigene konstruierte Situationen schaffen also Raum für Veränderung. Genau damit war die Nachhaltigkeits-Guerilla schon seit jeher beschäftigt. Als Muster-Beispiel sei unser verschollener Mitstreiter Edel Ali-Fresh genannt. Er lebte den Guerilla-Alltag. Wir waren Zeugen, wie er auf wilden Parties sich seine kostümierten Klamotten vom Leib riss und nackt –  nur mit Hut bekleidet – im Scheinwerfer breakdancte. Die Standard-Berliner-Wohnungs-Party-Besucher-Gespräche waren verstummt und die Party brach los.

Und in diesem Sinne war auch die Nachhaltigkeits-Guerilla (zusammen mit Freunden von u. a. Loesje und Grass-Routes) aktiv gewesen: das Guerilla-Wohnzimmer. Ein Wagen der Berlin Ringbahn wurde im Feierabendverkehr temporär in ein Wohnzimmer verwandelt. Die Zugvögel und wir schmückten das Abteil mit eigenen Einrichtungsgegenständen wie z.B. Bildern, Gardinen und Tischen und verwirrten damit die Fahrgäste. Damit wurden die Passanten in eine spielerische Situation gebracht, die alltägliche Rituale im öffentlichen Nahverkehr in Frage stellte. Mit Kaffee und Kuchen, ohne jegliche Kommentare, gesellten sich auf einmal Fahrgäste dazu. Die Erkenntnisse der Passanten: 1. Öffentliche Räume können auch als gemeinsamer kommunikativer Raum genutzt werden und 2. S-Bahn fahren kann durchaus gemütlich sein.

Spielen

Wenn man solche eigene Situationen schaffen will, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem Spiel. Spiel kann sehr viele Bedeutungen haben. Stellen wir zuerst das Spiel aller Spiele vor: das kindlich Spiel. Für die SI sind nämlich Situationen „die Verwirklichung eines höheren Spiels oder genauer gesagt, die Aufforderung zum Spiel der menschlichen Anwesenheit“ (SI-REVUE 2008c). Sie lehnen den herkömmlichen Wettkampfgedanken von Gewinnen und Verlieren ab, denn sie setzen ihn mit den wesentlichen Charakterzügen des Kapitalismus gleich, als verkommenes Spiel von Eigentum und Armut. Situationen verkörpern dagegen experimentelle Spiele mit eigenen Regeln fernab des Spektakels im Alltag. Sie eröffnen neue Möglichkeiten und sorgen für die Freiheit des Individuums.

Die SI setzte sich oft mit Architektur, Stadtplanung und dessen Wirkung auf die Menschen auseinander, denn hier materialisiert sich das Symbolische im Kapitalismus. So wundert es nicht, dass ein Spiel entwickelt wurde, welches neue Möglichkeiten des Wohnens für den Einzelnen eröffnet: In der achten Ausgabe der Internationale Situationiste wird ein Gastgeber gelobt, der seinen Gästen leere Räume zur Verfügung stellt, die nach Belieben mit dargereichten nützlichen Gegenständen (z.B. Betten, Schränke, Stühle) und nutzlosen Gegenständen eingerichtet werden dürfen. Somit konnten neue Formen des Wohnens ausprobiert werden, fernab von konfektionierten Räumen, denen „eventuell eine Stimmung anhaftet“ (SI-REVUE 2008d). Als Kosmonauten stürzten sie sich in ferne Räume und als Avantgarde pflasterten sie neue Straßen für die nächste Generation. Die SI wollte neue Formen der Subversion erproben und entwickelte situationistische Techniken wie Dérive, Détournement und Montage/Bricolage.

(In den nächsten Folgen werde ich die drei subversiven Techniken Dérive, Détournement und Bricolage mal genauer unter die Lupe nehmen.)

Quellen

DEBORD, Guy (1995): Rapport über die Konstruktion von Situationen und die Organisations- und Aktionsbedingungen der internationalen situationistischen Tendenz. In: Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten. Übersetzt von Pierre Gallissaires. Hamburg: Edition Nautilus. S.28-44. (Org. 1957).

SI-REVUE (2008a): Die Theorie der Momente und die Konstruktion von Situationen. In: Online-Ausgabe der Zeitschrift der Situationistischen Internationale Nr.4 von 1960.
Übersetzung von 1976.

SI-REVUE (2008b): Vorbereitende Probleme zur Konstruktion einer Situation. In: Online-Ausgabe der Zeitschrift der Situationistischen Internationale Nr.1 von 1958. Übersetzung
von 1976.

SI-REVUE (2008c): Manifest. In: Online-Ausgabe der Zeitschrift der Situationistischen Internationale Nr.4 von 1960. Übersetzung von 1976.

SI-REVUE (2008d): Wiederholung und Neuigkeit in der konstruierten Situation. In: Online-Ausgabe der Zeitschrift der Situationistischen Internationale Nr.4 von 1960. Übersetzung von 1976.

traktor #00 / Rent a tree (Nachhaltige Weihnachtsbäume)

Mein Rikschakollege und Namensvetter veranstaltet eine wunderbare Weihnachtsaktion: rent a tree. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern auch noch so herrlich romantisch, dass mir vor Herzerwärmung die Kuller- tränen die roten Bäckchen runterkullern. Schaut ihn Euch an, den lieben Fratz:

Und hier seine so lieb verfassen Worte: „Die nachhaltige Lösung des Weihnachtsbaumproblems: Rent-a-Weihnachtsbaum. Nordmanntannen (Abies nordmannia) im Topf mit Wurzel, 1m groß. Klimafreundlich und garantiert wiederverwertbar nächstes Jahr. Für nur 9,99 Euro . Bei Bedarf liefert unser Träger gegen einen kleinen Aufpreis bis ins Wohnzimmer. Ab Samstag 11.12.2010 um 12uhr, Aktionsende am 23.12.2010. Vorbestellungen bei Mike unter 0174/947 20 67.“

…machen wir mal eine kleine Weihnachtspause vom ad-free, okay? Heute ist mal ad-freeze-Tag!

(Nachhaltigkeits-)Guerilla-Radio


(Bildquelle: wearechange)

Die Suchmaschinen spucken bisher nur den Song von ‚Rage against the Machine‘ aus, wenn nach Guerilla-Radio gesucht wird. Wird wohl Zeit, das selbst in die Hand zu nehmen. Im Beitrag ‚Aufbau einer Gegenöffentlich- keit‘ hatten wir auf die Rolle der Bürgermedien als weitere Gewalt, als Gegenöffentlichkeit zur PR-Kultur, hingewiesen.

Der Bundesverband Freier Radios zeigt ein Netz von Freien Radiostationen in Deutschland auf – schon ganz beachtlich. Klickt man/frau sich hier mal durch, kommt man recht schnell zu Radio Flora in Hannover. Die Radio Flora Leute ‚ticken‘ da schon in unsere Richtung: “radio flora unterstützt Entwicklungen für gerechte, solidarische, demokratische und selbstbestimmte, die ökologischen Lebensgrundlagen erhaltende Verhältnisse in der Welt und will zum Handeln in diesem Sinne anregen…” (Der Text wurde der Homepage von Radio Flora entnommen). Andere Bürgerfunker sind bestimmt auch gut, ich bin bloss noch nicht dazu gekommen, alle Websites durchzuschauen. Einige sind allerdings auch etwas lahm…

Es lebe das Guerilla-Radio!


RAGE AGAINST THE MACHINE – GUERILLA RADIO
Hochgeladen von hushhush112. – Sieh mehr Musikvideos, in HD!

Nachtrag vom 21.12.2010:
Mehr gute und scheinbar unabhängige Leute gibts hier: http://www.querfunk.de/sendungen/evrensel.html

Theorie 2: Situationistische Internationale

Gründung einer Bewegung

Die Situationistische Internationale (SI) ist Ende der 50er Jahre als Zusammenschluss aus verschiedenen linken Künstlergruppen entstanden. Hier versammelten sich bis zu 70 revolutionäre Genossen, die meist Künstler, Architekten und Theoretiker aus Ländern wie Frankreich, Belgien, England oder Algerien waren. Gründungsmitglied Guy Debord war die ideologische Leitfigur der SI und bis zu deren Auflösung 1972 der oberste Wächter über die selbst gesetzten Dogmen. Mit ihrem publizistischen Organ Internationale Situationiste übten sie einen entscheidenden Einfluss auf damalige und folgende linke Bewegungen aus, denn ihre jährliche Zeitschrift thematisierte erfolgreiche, situationistische Anwendungen in einem ästhetischen Stil, der bis dato seinesgleichen suchte (vgl. BAUMEISTER ZWI NEGATOR 2006, S.8f.).

Die Situationistische Internationale wird häufig als reine Kunstbewegung dargestellt, jedoch hat sie darüber hinaus einen höheren gesellschaftlichen Anspruch. Mit ihrer Periode zur Abschaffung der Kunst, wollten sie sich gerade aus den Fesseln der Kunst-Etikettierung befreien. Damit schließen sie sich ihren geistigen Vätern – den Dadaisten – an, die ebenfalls die bestehenden Grenzen von Politik, Kunst und Kultur auflösen wollten (vgl. SEIFERT 2004, S.187ff.).

Spektakel und Ich-Entfremdung

Die SI wollte die Entfremdung des Ichs in der spätkapitalistischen Gesellschaft bekämpfen. Ganz in der Tradition von Karl Marx kritisierte sie, dass sich Warenbeziehungen bis inden letzten Winkel der sozialen Realität eingenistet haben. Das eigene Leben wird zum Spektakel, das aus der Distanz beobachtet keinen direkten Zugriff mehr zulässt. Selbst intimste Momente werden in der Werbung abgebildet und lassen sich ‚imaginativ‘ konsumieren (vgl. BAUMEISTER ZWI NEGATOR 2006, S.9; PLANT 2001, S.244f.). Das Bild wird damit zur wertvollsten Ware und stellt den mächtigsten Fetisch dar. Dabei überlagert es den eigentlichen Kern der Sache. Durch den immerwährenden Konsum von konsumentengerechten Bildern wird das entfremdete Ich zum Schein befriedigt und die natürlichen Wünsche verschwinden.

Nach Debord ist das Spektakel, worauf die ganze kapitalistische Produktion abzielt, „nicht ein Ganzes von Bildern, sondern [ein] durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen“ (DEBORD 1978, S.3). Es ist nicht mehr als eine Scheinwelt, in der sich alle Menschen bewegen und ihre festgelegten Rollen spielen. Freiheit verkommt darin zur puren Repräsentation und gleicht einer Simulation, denn ‚freie Wahl’ bedeutet nichts anderes, als zwischen vorgegebenen Bildern zu entscheiden. Die Eintrittskarte zu dieser ‚schönen neuen Welt’ heißt Geld. Damit wird Geld zum eigentlichen Sinn des Lebens. Alle Tätigkeiten dienen für das entfremdete Ich zum sinnleeren Gelderwerb.

Eine Entfremdung vom Ich beinhaltet jedoch, dass es früher einmal anders war. Hier stellt sich die Frage, ob der Mensch jemals zuvor eine echte Freiheit im Sinne der SI leben konnte. Dies kann bezweifelt werden, denn mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten wurde die Freiheit des Einzelnen gestärkt. Die Arbeitszeit für die Befriedigung der Grundbedürfnisse nahm beträchtlich ab und konnte anderweitig für höhere Bedürfnisse investiert werden. Jedoch stieg auch der Grad der Fremdbestimmung, denn eine Arbeitsteilung schließt ein, dass nicht nur die eigenen Ziele verfolgt werden können.Eine starke Differenzierung der Gesellschaft im flexiblen Kapitalismus bringt also zwangsläufig eine Entfremdung des Subjekts mit sich. Es ist eine Frage des Maßes, wie sich dieses Phänomen in einer Gesellschaft äußert. Menschen sollen keine konsumierenden Roboter und hirnlosen Staatsdiener sein, auch wenn es manche Ideologien so vorgeben.

Fast 50 Jahre nach der Gründung der SI hat sich die Ausgangssituation maßgeblich verändert. Während in den 50/60er Jahren der 2. Weltkrieg für die meisten Menschen aktive Erinnerung war und eine neue Zeit der Warenwelt angebrochen schien, ist heute der flexible Kapitalismus zum Normalzustand geworden. Was der SI damals so neu und fremd erschien, hat sich heute noch viel stärker im Alltag manifestiert. Die Wirtschaft hat längst die Kraft der Bilderwelten erkannt und setzt sie bewusst ein. Marken sind nichts anderes als ‚appetitanregende Gedankenbilder/-filme’, die den Konsumenten verführen sollen. Sie wirken als lustvolles Versprechen für die individuelle Zukunft der Konsumenten. Die Mitglieder der SI spürten scheinbar eine solche dramatische Entwicklung und versuchten durch subversive Aktivitäten dem Spektakel entgegenzuwirken.

(In der nächsten Folge wird erklärt, wie die Situationistische Internationale das Spektakel auflösen wollte. Dann kommen wir auch wieder zur praktischen Guerilla)

Quellen

BAUMEISTER ZWI NEGATOR, Biene (2006): Situationistische Revolutionstheorie – Communistische Akutalität und linke Verblendung. In: Grigat, Stephan et. Al. (Hrsg.): Spektakel – Kunst – Gesellschaft. Guy Debord und die situationistische Internationale. Berlin: Verbrecher Verlag. S. 5-36.

SEIFERT, Anja (2004): Körper, Maschine, Tod. Zur symbolischen Artikulation in Kunstund Jugendkultur des 20. Jahrhundert. Wiesbaden: VS Verlag.

PLANT, Sadie (2001): In die Theorie hinein und wieder hinaus. In: Baecker, Dirk / Huber, Jörg (Hrsg.): Kultur-Analysen. Interventionen. Wien: Springer. S. 243-260.

DEBORD, Guy (1978): Die Gesellschaft des Spektakels. Übersetzt von Jean Jaques Raspaud. Hamburg: Verlag Lutz Schulenburg. (Org. 1967).


Aufbau einer Gegenöffentlichkeit

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Was hier leider nicht gesagt wird ist, wie wir das anstellen sollen. Auch in klugen Kommentaren des Grundgesetzes ist keine praktische Handlungsanweisung zu finden. Also sind wir auf uns selbst gestellt. Die Möglichkeit zum Widerstand liegt unter Umständen genau da, wo die Herrschenden ansetzen, um die Mehrheit der von ihnen Drangsalierten auf ihre Seite zu ziehen: im Versuch, Einfluss zu nehmen auf die öffentliche Meinungsbildung, im Aufbau einer Gegenöffentlichkeit.


(Bildquelle: Antifa-Streetart)

Der Text wurde dem Buch ‚Müller, Albrecht (2009): Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen‚ entnommen (S. 26)

Treffender hätte ich es nicht formulieren können: Die Möglichkeit zum Widerstand liegt im Versuch, Einfluss zu nehmen auf die öffentliche Meinungsbildung, im Aufbau einer Gegenöffentlichkeit., (bspw. mittels Bürgerjournalismus, Videoaktivismus, Kommunikationsguerilla, Blog/Vlog – mehr dazu später).

Die Guerilla strippt endlich weiter: Theorie 1.SUBVERSION

tit revolution (c) by pkfortyseven

tit revolution (c) by pkfortyseven

Vor Urzeiten haben wir begonnen, uns nackig zu machen – aber nur sprichwörtlich. Wir wollten das Wesen der Nachhaltigkeits-Guerilla ergründen und einen thereotischen Strip hinlegen. Ich glaube wir sind irgendwo bei der Jacke oder Mütze hängen geblieben und sind dann eingeschlafen. Jetzt gehts endlich weiter. Licht aus, Musik an …

Heute fangen wir  mit dem Begriff der Subversion an. Subversion bedeutet im Allgemeinen soviel wie umstürzen oder umkehren. Im Kern geht es um die Aktivität eines Schwächeren in einem politischen Umfeld mit einer etablierten Herrschaftspraxis, einem dominanten Kollektiv und festgelegten Routinen (vgl. TERKESSIDIS 2009, S.21). Mitunter werden durch subversive Aktivitäten Innovationskräfte freigesetzt, wenn auf das Umstürzen bestehender Traditionen oder Herrschaftsverhältnisse abgezielt und damit ein Vakuum für Neues geschaffen wird.

Dabei unterscheidet sich das Subversive grundsätzlich von anderen Widerstandsformen wie z.B. dem Protest, der auf einen Dialog mit den Herrschenden setzt oder dem Kabarett, das eine kritisch-ironische Distanz zu denAutoritäten schafft. Während diese Widerstandsformen meistens einen stabilisierenden Effekt auf Machtsysteme haben, wollen subversive Kräfte sie demontieren. Dabei operieren sie oftmals im Verborgenen und bedienen sich unterschiedlicher Taktiken und Strategien.

Die Subversiven können Hegemonien direkt von ‚außen’ attackieren oder sie unterwandern Machtsysteme von innen und zersetzen sie langsam. In der jüngeren Geschichte gab es diverse prominente subversive Bewegungen, von den Dadaisten, über die Cultural Jammers zur Roten Armee Fraktion. Diese Bandbreite zeigt die Unschärfe des Begriffs auf. Man kann den Begriff nach Ernst in seinen historischen Verwendungen voneinander abgrenzen (vgl. ERNST et. al. 2008, S.12ff.):

  1. Die politisch-revolutionäre Subversion wird aus der Sicht der Herrschenden eingeordnet. Sie bezeichnet jene Gruppen, die eine bestehende Herrschaft mit einem „revolutionären Akt oder Prozess radikal umstürzen wollen“ (ebd., S.13). Diese Kategorie wird gemeinhin mit Terror gleichgesetzt, wie ihnAl-qaida oder Hamas betreiben.
  2. Die künstlerisch-avantgardistische Subversion wird vorwiegend durch Kunstbewegungen forciert. Hier werden vorherrschende Zeichensysteme durch „einzelne spielerische Akte exemplarisch“ (ebd., S.13) außer Kraft gesetzt. Als Beispiele dieser Kategorie können Bewegungen wie die Surrealisten, die Situationisten oder die Kommunikationsguerilla genannt werden.
  3. In der minoritären Subversion erheben sich einzelne diskriminierte Minderheiten gegen die ethnische, sexistische oder ökonomische Unterdrückung durch die Mehrheitsgesellschaft. Dabei können sie durch Vorleben ihres alternativen Lebensstils eine fundamentale Veränderung der Majorität herbeiführen.
  4. Im Begriff der dekonstruktivistischen Subversion beziehen sich Vertreter der Gender Studies und der Postkolonialen Theorie „auf die These, dass die Befreiung ‚minoritärer Identitäten‘ erst durch die Auflösung jener Matrizen[…], die sie konstruieren helfen, erreicht werden könne“ (ebd., S.14).

Die Nachhaltigkeits-Guerilla bewegt sich auf dem Pfad der (2) künstlerisch-avantgardistische Subversion. Wie Schäfer und Bernhard feststellen, sind subversive Praktiken nicht allein dem Subversiven vorbehalten, sondern „lassen sich in den Bereichen Kunst, Politik und Wirtschaft zur Kommunikation von Themen feststellen“ (SCHÄFER/BERNHARD 2008, S.74). So werden sie mit Vorliebe auch von Marketing und Public Relations entdeckt und gebraucht.

(Die nächsten Theorie-Beiträge sind gesondert kennzeichnet und kategorisiert. Es geht in einer Woche weiter mit der Situationistischen Internationale.)

Quellen

ERNST, Thomas et. Al (2008): SUBversionen. Eine Einführung. In: Ernst, Thomas et. Al. (Hrsg.): Subversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag. S.9-26.

SCHÄFER, Mirko Tobias / BERNHARD, Hans (2008): Subversion ist Schnellbeton! Zur Ambivalenz des ‚Subversiven‘ in Medienproduktionen. In: Ernst, Thomas et. Al. (Hrsg.): Subversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag. S.27-46.

TERKESSIDIS, Mark (2008): Karma Chamäleon. Unverbindliche Richtlinien für die Anwendung von subversiven Taktiken früher und heute. In: Ernst, Thomas et. Al. (Hrsg.): Subversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag. S.69-88.

Warum wir Wikileaks brauchen …

Im nachhaltigen Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Soziales verbergen sich sehr viel mehr Themen als Umweltschutz, Nachhaltigkeitsberichte und Biokost. Das sollte den Lesern unseres Blogs nicht entgangen sein. Ich möchte hier ein weiteres Thema aufmachen, dass mir wichtig für den Schritt in eine nachhaltige Gesellschaft erscheint: Die Rolle von Transparenz in Machtstrukturen. Anlass ist die jüngste Cablegate-Veröffentlichung durch Wikileaks.

Eine globalisierte Öffentlichkeit braucht Whistleblower, um eine Transparenz in moralisch fragwürdigen Prozessen zu bringen. Informanten wird es immer geben, die interne Misstände aufdecken wollen. Wikileaks will und wollte der verlässliche Partner für solche Menschen sein. Was ist denn mit den Leuten, die mit guten Absichten Interna ausplaudern, weil sie sich einer Ethik verpflichtet fühlen? Sie werden gesellschaftlich EVENTUELL anerkannt, aber tragen die persönlichen Konsequenzen – rechtlich bewegen sie sich auf einen heißen Pflaster und ökonomisch sind sie danach oftmals zerstört. Diese Menschen brauchen einen verlässlichen Whistleblower in Form einer starken globalen, unabhängigen Organisation.

Eigentlich ist es ja die Aufgabe unserer Journalisten, unsere Demokratien kritisch zu beobachten. Aber ökonomische sowie politische Abhängigkeiten und ein ungleich größeres PR-System verhindern scheinbar die Erfüllung dieser Aufgabe. Daher bräuchte das Prinzip Wikileaks – wenn es sicherlich momentan nicht das beste Konzept bietet – mehr Unterstützung und nicht eine fadenscheinige Bösewichts-Unterstellung, wie sie momentan von Politikern und Medientreibenden gesponnen wird. Es muss vielmehr darüber nachgedacht werden, wie das Prinzip Whistleblowing verbessert werden kann.

Natürlich sind Regierungen, Organisationen und Unternehmen erstmal grundsätzlich gegen Whistleblower, denn sie verraten Dinge, die unangenehm sind. Aber wie sieht denn der gesellschaftliche Nutzen für Intransparenz aus? Ist Korruption und Verblendung eine Notwendigkeit, die aufrecht erhalten werden soll? Die Verursacher haben sicherlich etwas dagegen. Die Arbeit von Wikileaks soll logischerweise verhindert werden. Wikileaks wird seit Tagen mit DDos attackiert und von diversen Servern geschmissen mit der Begründung auf Verletzung von AGB.

Das Berichterstattung der Medienlandschaft in den letzten Tagen ist insgesamt sehr unreflektiert: Entweder Übertreibung, Einseitigkeit, Blauäugigkeit (Thesen 5 und 6) oder Negativ-Kampagnen. Es ist nötig den Gesamtzusammenhang zu beleuchten. Hier kann sich herausstellen, dass die Veröffentlichung der der geheimen Dokumente zwar (wieder mal) Probleme mit sich bringt (wie z.B. Untergrabung der Diplomatie, Persönlichkeitsrechte, usw.), jedoch Whistleblower generell wichtig sind. Wenn man das ganze einbettet in den weltweiten Datensammel- und Überwachungswahn von Regierungen, dann stellt man sich vielleicht die Frage, dass eigentlich nicht die Bürger überwacht werden sollten, sondern vielmehr die Institutionen, die Macht ausüben können. Denn wer Macht besitzt, kann diese potentiell ausnutzen. Daher begrüße ich, wenn Wikileaks den Weg ebnet für eine größere Transparenz von Machtstrukturen.

Und wenn man mal in die Geschichte schaut, dann zeigt sich, dass für die größten Verbrechen gegen die Menschheit (z.B. Holocaust, Hiroshima und Nagasaki, Heilige Kongregation der Universalen Inquisition) immer machtvolle Institutionen die Drahtzieher waren. Was spricht daher gegen das Whistleblower-Prinzip? Es ist vielleicht eine Chance Machtmissbrauch zu einzudämmen. Wenn man sich auf diese Position einigen könnte, bräuchten wir keine unsinnige Diskussion über das Problem Wikileaks von Illegalität und Datenlecks, sondern könnten uns konstruktiv mit dem gesellschaftlichen Nutzen beschäftigen.